Unterwegs in Peru
September 2007
Reiseeindrücke von Inge Auer
Eine Gruppe aus der Pfarrei Sankt Jakobus aus Sinsheim an der Elsenz lud mich ein, als Übersetzerin mit ihnen nach Querecotillo/ Sullana – im Norden Perus gelegen – zu reisen.
Da unsere Partnergemeinde in Bernal – Bajo Piura nur ca. 2 Stunden von Sullana entfernt liegt, wollte ich nicht zurückkehren, ohne unsere Partnergemeinde von Kirchardt besucht zu haben.
Meinen Besuch in Peru nützte man auch, um am 27. September eine außerordentliche Sitzung mit dem Consejo Nacional de la Partnerschaft (CN) in der Dt. Gemeinde einzuberufen, an der Mons. Richard Alarcón, Bischof von Tarma und Vorsitzender des CN, Mons. Javier del Río Alba, Erzbischof von Arequipa, Mons. Pedro Barreto, Erzbischof von Huancayo, Sra. Laura Vargas (CEAS), Sra. Delia Astuyauri (Chosica), Sra. Santos García (Chimbote), Sra. Lidia Portocarrero (Carabayllo), Sra. Hortensia Rojas (Huancayo) und Jürgen Huber vom Partnerschaftsbüro in Lima teilnahmen.
Von allen Teilnehmern soll ich Sie alle herzlich grüßen.
Zunächst wurde das Grußwort von Domkapitular Sauer und Monika Steiert verlesen, für das man herzlich dankt. Besonders beeindruckt war man von der Kollekte am 16. September in der Erzdiözese Freiburg, einem großen Zeichen der Solidarität. Ein besonderes Dankschreiben wurde an Erzbischof Dr. Zollitsch und an Frau Christel Ruppert verfasst. Mons. Alarcon bedankte sich vor allem bei Mons. Sauer und Monika Steiert für ihr Engagement für die Partnerschaft.
Ich berichtete über unseren neuen Ausschuss Weltkirche und Partnerschaft, von der ersten Sitzung am 31. März dieses Jahres mit P. Felipe Zegarra vom Consejo Nacional, dann von den neuen Herausforderungen durch die Umgestaltung der Seelsorgeeinheiten und Dekanate, unseren Überlegungen zum Gebetstag, der mit dem Jugendsonntag zusammenfällt, und daher evtl. ähnlich wie das Hausgebet im Advent am Freitag vor dem 11. November begangen werden soll. Im Sonntagsgottesdienst sollen dann trotzdem Fürbitten für Peru gebetet werden. Von einigen Pfarreien, auch die keine Partnerschaft haben, wurde ein solcher Gebetstag wegen des Erdbebens schon vorweg genommen.
Ein Arbeitsblatt für die Dekanate und Gruppen in unserer Erzdiözese wird erarbeitet.
Vom CN wurde berichtet, dass der Gebetstag vor allem für die Geschädigten im Erdbebengebiet sein soll und für die Partnergemeinden in Ica. Die Lima-Region wird Chincha am 28. Oktober im Rahmen eines Solidaritäts- und Freundschaftstreffen besuchen. Dieses Treffen soll unter dem Lema stehen: “Compartir la esperanza da alegría de vivir, Hoffnung teilen schenkt Freude am Leben”, Lema von 1996. Es soll gleichzeitig auch Vorbereitungstag sein für den Gebetstag im November und dem Limatreffen im Juni 2008, das man extra nach Chincha gelegt hat. Die Kosten für den Tag tragen die Partnergemeinden in Lima. Absicht dieses Treffens ist nicht Kleider und Lebensmittel zu bringen, sondern mit den Delegierten der Partnerpfarreien von Chincha, Ica und Pisco die schrecklichen Erlebnisse, aber auch ihre Pläne und Hoffnungen auszutauschen. Dazu sind auch die Partnergemeinden von Ayacucho und Arequipa eingeladen.
Jürgen Huber berichtete vom Süd-Treffen in Sicuani am 22. September, bei dem zum ersten Mal 4 Delegierte aus Bolivien aus der Partnerschaft Bolivien-Trier-Hildesheim teilgenommen haben und die wiederum ihre Einladung für ein Treffen in Bolivien 2008 aussprachen. Also auch hier erfahren wir eine Öffnung wie im Ausschuss Weltkirche und Partnerschaft (AWP). Das kann für alle von uns nur eine Bereicherung sein.
Drei große Themen waren Tagesgespräch in Peru: Das Erdbeben, das Bergwerk und die Auslieferung von Ex-Präsident Fujimori.
I Erdbeben
Am 15. August wurde der Süden Perus von einem Erdbeben der Stärke 8 heimgesucht. Die Städte Ica, Pisco und Chincha wurden dem Erdboden gleich gemacht und einige hundert Menschen starben.
Die Solidarität sowohl national als auch international war unwahrscheinlich groß. Es wurden in allen Pfarreien des Landes Kollekten abgehalten und tonnenweise Decken, Kleider, Lebensmittel, vor allem Wasser, und Medikamente gesammelt. Leider scheiterte aber die Regierung. So waren z. B. 1 Monat nach dem Beben Tote immer noch nicht beerdigt! Die einzige Hoffnung setzt man auf die Kirche, die aber völlig überfordert war mit den Tonnen von Kleidern, Lebensmitteln und Medikamenten. Da die Hilfe anfangs nicht in die kleinen Weiler und abgelegenen Dörfer ankam, haben viele eigene Initiative ergriffen, sind mit Lastwagen dorthin gefahren und haben selbst die Hilfsgüter verteilt.
Dann wurden bald viele Helfer wieder abgezogen, sodass die Leute heute selbst sehen müssen, wie sie zu Recht kommen. Die Not ist nach wie vor groß. So haben z.B. in Chincha 70% der Bevölkerung keine Häuser mehr, die aus Adobe, aus Lehmziegeln, waren. Sie schlafen auf dem Boden auf der Straße oder in Zelten und es ist sehr kalt. (10 Grad, Luftfeuchtigkeit 100%) Volksküchen wurden eingerichtet, um wenigstens die Asentamientos humanos und die Pueblos jóvenes mit Nahrung, Decken, Matratzen, Kleidung, Schuhe und Medizin zu versorgen. Alles geschieht in Abstimmung mit Caritas Peru oder Caritas International. (Als Partnergemeinden in der Erzdiözese sind vor allem Pforzheim, Villingen und MA betroffen.)
Jetzt baut man die Häuser wieder auf, meist leichte Holzhäuser, aber auch die menschliche Seele muss aufgebaut werden – aber da fehlt es vor allem an psychologischer und geistlicher Hilfe. Menschen haben zu lange neben ihren Toten geschlafen oder eine ganz junge Frau aus Cusco berichtet, dass sie ihren Mann und ihre kleinen Kinder verloren hat. Sie ist völlig allein und wie sie sind viele Menschen verzweifelt und ohne Hoffnung.
Mons. Javier Del Río Alba aus Arequipa hat auch erwähnt, dass der Besuch von Kardinal Bertone, Sekretär des Vatikans, sehr wichtig war und die Menschen bestärkt hat. Vor allem auf die Kirche hat man sich gestützt, die sich um die Waisenkinder und um alte Menschen gekümmert hat. So sagt Mons. Guido Breña, Bischof von Ica, in einem Schreiben an Erzb. Zollitsch, dass vor allem die Pueblos jóvenes und weit entfernte Weiler die Hilfe bekommen werden.
Eine Beobachtung von mir war, dass trotz dieses schweren Bebens die Menschen oft Warnungen gleichgültig aufnehmen. So hat man zum Beispiel in Piura eine Übung angesetzt, damit im Ernstfall die Menschen richtig handeln. Niemand hat daran teilgenommen, obwohl gerade 1970 bei einem Erdbeben in Yungay und Piura 70.000 Opfer zu beklagen waren.
II Bergwerk
Das zweite große Thema, das ich hautnah erlebt habe, war die Volksabstimmung über das Bergbauprojekt der Firma Majaz und das Projekt Río blanca in Ayabaca, Pacaipampa, Carmen de la Frontera, Huancabamba in der Sierra von Piura, im Norden Perus.
Peru ist eines der reichsten Länder was Pflanzen, Tiere, Fische, Wälder und Mineralien betrifft. Aber diese Bergwerke, die ohne Lizensen arbeiten, bringen das ganze Ökosystem durcheinander und sind eine große Gefahr für die Nebelwälder in Piura. Erfahrungen anderer Bergbaugebiete sind bekannt: die Stadt „La Oroya“ liegt an sechster Stelle der schmutzigsten Städte der Welt, ein wahrlich trauriger Rekord, und die Kinder mit Blei verseuchtem Blut leiden an Krebs und vielen möglichen schleichenden Krankheiten. Oder der Fluss Mantaro, der früher einer Vielzahl von Fischen Heimat bot, ist heute total verseucht und tote Fische treiben im Wasser. Der Bischof von Puerto Maldonado, in der Selva im Südosten Perus, erzählt, dass eine Mine ihre Abfälle rund um ein Dorf ablädt. Inzwischen ist das Dorf von einem Wall aus Müll umgeben und liegt wie in einer Senke, d.h. das Dorf verstickt regelrecht im Müll. Aus diesen Erfahrungen heraus haben sich die Bauern und Bäuerinnen in Piura zusammengeschlossen, um über ihre Zukunft zu entscheiden. Die Volksbefragung über das Bergbauprojekt „Rio Blanco“ hat am 16. September 2007 stattgefunden und war ein demokratischer Erfolg. 95% der Wahlbeteiligten, die bis zu fünf Stunden Fußweg laufen mussten, um die Wahlurnen zu erreichen, lehnten das Bergbauprojekt ab. Die „Rondas Campesinas“, das ist eine Art Ortspolizei, hatten die Verantwortung dafür übernommen, dass die Befragung friedlich ablaufen sollte. Aber die Regierung hatte doppelt so viele Polizisten in die Region geschickt wie bei staatlichen Wahlen, was ein angespanntes Klima schuf. Außerdem hat die Regierung mit ihren Verleumdungskampagnen gegen die Organisatoren, gegen Bischöfe und Priester, die auf Seiten der Bauern stehen, dafür gesorgt, dass die Abstimmung unter großem Druck stattfand. Mons. Daniel Turley, Bischof von Chulucanas z. B., wurde von der Presse in Piura und ganz Peru angegriffen und verleumdet.
Doch das Verhalten der Bevölkerung und ihrer Organisationen war sehr friedlich. Unterstützt wurden sie auch von einem Komitee aus Tambogrande, einer Stadt im Departement Piura, deren Bewohner sich vor einigen Jahren gegen das Minenprojekt des kanadischen Unternehmens Manhattan mit Erfolg gestellt hatten und dafür für ihren friedlichen Kampf den Friedenspreis der Menschenrechtsorganisationen bekommen haben. Außerdem kamen viele Solidaritätsschrieben aus Peru, der Bischofskonferenz und auch aus vielen anderen Ländern und großen Institutionen, wie Caritas und Misereor.
Das Ereignis in der Sierra von Piura bezeichnen viele Politologen und Juristen in Peru als „Fest der Demokratie“. Die Menschen zeigen damit, dass sie sich ihrer Verantwortung als Bürger bewusst sind. Die Volksbefragung ist ein wichtiger Schritt für die Arbeit in der Verteidigung des Lebens und für mehr Demokratie. Aber der Weg dorthin ist sehr lang in einem Land, in dem die Mehrheit der Bevölkerung in Armut lebt und unter Exklusion leidet und in einem Land, in dem die Regierung und die Eliten ihre Verantwortung für diese Menschen und die Umwelt nicht übernehmen möchten.
Präsident Alan Garcia spielt den Erfolg der Volksbefragung total herunter. Er versuchte sogar in einer Rede die peruanische Bevölkerung davon zu überzeugen, dass sich das Handeln der Bauern in Huancabamba und Ayabaca gegen den Reichtum des Landes richtet. Er behauptet, dass Peru kurz vor dem Punkt stünde, an dem die Armut des Landes mit Hilfe des Bergbaus überwunden werden könne. Er würde nur vier Jahre benötigen, um das zu erreichen. Aber bisher hat Alan Garcia kein einziges seiner Versprechen in Bezug auf Armutsbekämpfung und gerechte Verteilung des Reichtums Perus gehalten und hat sogar die Verleumdungskampagne gegen die soziale Bewegung, die für ihre Rechte kämpft, unterstützt.
Sicher wird die Meinung Garcías noch bestärkt, da die Städte Paita, Piura, Sullana, Talara, Morropón und Sechura sich für den Bergbau entschieden haben und sogar dafür in Piura marschiert sind. Ich habe mich erkundigt, wie dieses Ergebnis zustande kommt. „Aus Gleichgültigkeit!“ hat man mir gesagt. Die Städte sind weit weg von der Sierra. Was man allerdings nicht bedenkt, dass diese Küstenstädte ihr gesamtes Wasser aus dem Wasserreservoir „Los Poechos“, an der Grenze zu Ecuador, bekommt. Dieses Wasserreservoir wird gespeichert aus den Flüssen der Sierra. In naher Zukunft wird also verseuchtes Wasser bis in die Küstenstädte kommen und Land und Vieh und damit auch den Menschen, der auch sein Trinkwasser aus diesen Kanälen holt, verseuchen und krank machen. Inzwischen hat man einen „Runden Tisch“ in Piura einberufen, Einladungen haben aber nur die Befürworter erhalten, die Vertreter der Bauern wurden nicht eingeladen.
Die Regierung vertritt nur die Interessen des Unternehmens. Die Bürger in weit entfernten Gebieten werden nicht gehört, was aber in den Grundrechten eines demokratischen Staates verankert ist.
Die Wahrung der Schöpfung – Menschen, Flora, Fauna, Natur – steht in der Verantwortung eines jeden Christen und aller Personen in der Welt.
Die Kirche selbst ist nicht gegen das Ausnützen dieses Reichtums, aber es müssen bestimmte Bedingungen eingehalten werden, wie Bewahrung der Schöpfung, der Dialog mit den Bewohnern, der ausgeglichen, konstruktiv, tolerant sein muss und das Gemeinwohl im Auge haben muss. Dazu gehört die Gewissensbildung und dass man sämtliche Informationen erhält, um gemeinsam nach Wahrheit zu suchen. Nur gemeinsam kann man an einem Peru bauen, dann ist ein Fortschritt in Peru möglich.
III Fujimori
Das dritte Thema war natürlich die Auslieferung Fujimoris von Chile nach Peru am 22. September und sowohl die peruanische Justiz als auch die Menschenrechtsorganisationen fordern einen gerechten Prozess, d.h. Fujimori stehen seine Rechte als Angeklagter zu, den Opfern steht Gerechtigkeit zu.
Fujimori hatte zusammen mit seinem Geheimdienstchef Vladimiro Montesinos ein Regime aufgebaut, wo Korruption, Erpressung durch Videos, Bereicherung, Wahlfälschungsbüros, Abbau der Rechtsstaatlichkeit und staatlicher Mord an der Tagesordnung waren.
Die Regierung von Alan Garcia, die wenig für die Auslieferung getan hat, soll ihre Verantwortung übernehmen und garantieren, dass der Prozess stattfinden kann.
Das Urteil zur Auslieferung Fujimoris ist ein großer Schritt in der Beseitigung der Straflosigkeit für Peru und Lateinamerika. Als Präzedenzfall kommt diese Entscheidung zu anderen Erfolgen: Der Auslieferungsantrag von Richter Baltazar Garzon gegen Pinochet von England nach Spanien, und zu dem Urteil des „Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofs in Costa Rica“ über „Barrios Altos“, das ein Gesetz zur Straflosigkeit in Peru aufgehoben hat.
Fujimori hat schwere Menschenrechtsverletzungen begangen, die auch vom Interamerikanischen Gerichtshof in Costa Rica als Verbrechen gegen die Menschlichkeit angesehen werden.
So am 3. November 1991 in „Barrios Altos“, einem Armenviertel in der Altstadt Limas, wo 15 Personen durch das Militärkommando Grupo Colina während eines Grillfestes umgebracht wurden.
Dann am 18.Juli 1992 in La Cantuta, wo 9 Studenten und ein Professor der Pädagogischen Hochschule durch dasselbe Kommando hingerichtet wurden. Die Leichen ließ man hinterher verschwinden.
Die Gruppe Colina stand direkt unter dem Befehl von Fujimori. Diese Massaker sollten noch mehr Angst vor der Diktatur Fujimoris schüren.
Dann gab es weiter Menschrechtsverletzungen im Keller des Geheimdienstes.
Der Prozess und das zu erwartende Urteil sind ein Erfolg des peruanischen Staates und vor allem ein Erfolg der Menschenrechtsorganisationen und der Organisationen der Angehörigen der Opfer aufgrund ihres unermüdlichen Einsatzes für die Einhaltung der Menschenrechte in Peru.
Der Weg zur Gerechtigkeit ist in Peru noch lang. Doch wenn Fujimori für seine Taten bestraft wird, ist das ein wichtiger Schritt auf diesem Weg.